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Wie eine kleine Reform der Netzentgelte schnell helfen kann, mehr Windstrom zu nutzen und Stromnetze zu entlasten.

Jahr für Jahr werden Windkraftanlagen bei hohem Windaufkommen abgeschaltet, weil die Stromnetze Transport und Verteilung in die Lastzentren nicht bewältigen können. Windstrom dann zu verbrauchen, wenn vor Ort gerade viel davon vorhanden ist, trägt dazu bei, Abregelungen zu vermeiden – und das kann kurzfristig angestoßen werden.
Weniger Abregelung von Windrädern
Im Jahr 2021 beliefen sich die Kosten für das Netzengpassmanagement in diesem Bereich auf 807 Millionen Euro. Die Redispatch-Mengen, die für das erste Halbjahr 2022 veröffentlicht sind, zeigen eine stark steigende Tendenz. Ein wesentlicher Kostenfaktor ist, dass Anlagenbetreiber – und das ist aus verschiedenen Gründen sinnvoll – eine Vergütung erhalten, auch wenn ihr Windrad aufgrund eines Netzengpasses abgeregelt wird. Zwar liegen noch keine offiziellen Daten vor, doch ist davon auszugehen, dass aufgrund der hohen Strompreise 2022 und entsprechend höheren Entschädigungszahlungen auch die Kosten für Einspeisemanagement und Redispatch im zweiten Halbjahr 2022 deutlich gestiegen sind.
Damit Haushalte, Gewerbe und Industrie einen Teil ihres Stromverbrauchs in windreiche Zeiten verlagern, braucht es einen Anreiz. Ein Anfang wäre es, aus der Zeit gefallene Fehlanreize zu beseitigen, wie zum Beispiel, dass Großverbraucher dann am meisten Netzentgelte sparen, wenn sie Strom möglichst konstant verbrauchen. Schließlich ermöglichen flexible Verbraucher in einem Stromsystem, das zu immer größeren Anteilen aus erneuerbaren Quellen versorgt wird, einen effizienteren Netzbetrieb.
Zeitlich differenzierte Netzentgelte
Die Abregelung von Windstrom erfolgt häufig bei hoher erneuerbarer Stromerzeugung, also zu Zeiten niedriger Strompreise. Da diese jedoch üblicherweise nicht 1:1 an die Kundinnen und Kunden weitergegeben werden, besteht kein ausreichender Anreiz, das Verbrauchsverhalten anzupassen. Ab 2025 sollen mit dem Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende alle Stromvertriebe zeitvariable Tarife anbieten, doch auch dann blockieren konstant hohe Netzentgelte den Flexibilisierungsanreiz. Um einen solchen Anreiz zu etablieren, ist ein Preissystem erforderlich, das sowohl den Großhandelsstrompreis als auch die Engpasssituation im Netz abbildet. Das kann über lokal differenzierte variable Netzentgelte erreicht werden, die in Zeitfenstern mit viel Windstromerzeugung und Netzengpässen günstiger ausfallen als in Zeiten, in denen kein Engpass besteht.
Ein erster, kurzfristig umsetzbarer Schritt in diese Richtung, wäre die Einführung einer zeitlichen Differenzierung der Netzentgelte für Stromkunden mit einer registrierenden Leistungsmessung – das sind in der Regel Gewerbe- und Industriebetriebe mit einem Verbrauch von über 100.000 Kilowattstunden im Jahr. Hier wird der Verbrauch viertelstündlich gemessen. Damit besteht bereits die notwendige Grundlage, Netzentgelte zeitvariabel abzurechnen.
Konkret könnte die Verbrauchspreis-Komponente der Netzentgelte, der sogenannte Arbeitspreis, für diese Vielverbraucher in Zeiten und Regionen vergünstigt werden, in denen Erneuerbare Energien abgeregelt werden (Abbildung 1). Wichtig ist, dass die sogenannte Spreizung, also der preisliche Unterschied zwischen hohem und vergünstigtem Arbeitspreis ausreichend groß ist, um eine Verlagerung des flexiblen Verbrauchs zu bewirken. Die preisgünstigen Zeiten werden dabei am Vortag anhand einer Abregelungsprognose festgelegt. Die Region kann etwa das von Abregelung betroffene Bundesland sein, in dem der Gewerbe- oder Industriebetrieb seinen Sitz hat.
In Rahmen einer von Agora Energiewende beauftragten Analyse hat das energiewirtschaftliche Beratungsunternehmen Neon Neue Energieökonomik den Effekt zeitvariabler Netzentgelte mit Blick auf Schleswig-Holstein am Beispiel großer Power-to-Heat Anlagen ermittelt. Diese Anlagen können Windstrom, der andernfalls abgeregelt werden würde, zur Wärmeerzeugung nutzen. Die gewonnene Wärme kann dann zum Beispiel in kommunale Nah- und Fernwärmenetze eingespeist werden und damit Wärmeerzeugung durch Kohle oder Gas ersetzen. Dabei ließen sich zwei Effekte erkennen: Zum einen wird Abregelung reduziert, wenn sich flexible Verbraucher in windreichen Gegenden ansiedeln, weil ihre Anlagen dort mit der Einführung variabler Netzentgelte profitabler werden (die lila-farbene Kurve in Abbildung 2). Zum anderen vermeiden bereits vorhandene flexible Verbraucher durch angepasstes Verbrauchsverhalten zusätzlich Abregelung (dies zeigt die weitere Absenkung von der lila-farbenen zur pinken Kurve in Abbildung 2).
Die Einführung von zeitvariablen Netzentgelten bringt neben kurzfristigen Verlagerungen des Stromverbrauchs auch strukturelle Anreize mit sich. Großkunden werden sich mögliche Kosteneinsparungen in windreichen Regionen zunutze machen und bei der Standortwahl für neue Investitionsentscheidungen berücksichtigen. Dies kann mittelfristig den erforderlichen Netzausbau reduzieren und damit Kosten sparen.
Ein weiterer Vorteil gegenüber alternativen Konzepten wie zum Beispiel der Auktionierung von ansonsten abgeregeltem Strom liegt darin, dass durch zeitvariable Netzentgelte sämtliche Großverbraucher adressiert werden und entsprechend viele davon profitieren können. Die Einführung in einem klar definierten Segment erlaubt zudem, die Wirkung zeitvariabler Netzentgelte zu analysieren – auch im Hinblick auf zukünftige, weitere dynamische Preissignale im Netzentgeltregime. Dies ist ein wichtiger Schritt für den effizienten Netzbetrieb und Netzausbau in einem zunehmend von Windkraft und Solarenergie geprägten Stromsystem.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht entstehen durch die Nutzung von ansonsten abgeregeltem Strom und die Einsparungen beim Netzausbau Vorteile. Allerdings ist es wichtig, die Verteilungswirkungen im Blick zu behalten. Dies betrifft sowohl die Wirkung auf die verschiedenen Kund:innen innerhalb des Bundeslandes oder Netzgebiets, wo die Spreizung der Netzentgelte zum Tragen kommt, als auch die Wirkung auf die Kund:innen dieser Region im Vergleich zu den Kund:innen im restlichen Deutschland.
Im aktuellen Netzentgeltregime müssen die Gesamtkosten eines Netzbetreibers stets durch die Einnahmen in der Netzregion gedeckt werden. Stundenweise günstigere Netzentgelte müssen daher durch höhere Netzentgelte in anderen Stunden ausgeglichen werden. Der Anreiz für Großverbraucher ihren Verbrauch in Zeiten mit viel erneuerbarer Stromerzeugung zu verlagern, entsteht dadurch, dass sie so über niedrigere Netzentgelte Kosten einsparen können.
Zugleich darf für inflexible Verbraucher kein Nachteil gegenüber dem Status Quo entstehen. Andernfalls würden diese – in Regionen, in denen die Netzentgelte bereits heute überdurchschnittlich hoch sind – doppelt benachteiligt. Daher sollte die Einführung des Instrumentes aufkommensneutral gestaltet werden, das heißt bei unverändertem Verbrauchverhalten sollten keine nennenswerten Kostenveränderungen auftreten.
Geringere Netzkosten für flexible und inflexible Verbraucher
Wenn der Anreiz eines zeitvariablen Arbeitspreises funktioniert und flexible Verbraucher ihren Strombezug anpassen, entstehen damit in der entsprechenden Netzregion unmittelbar geringere Einnahmen für den Netzbetreiber. Etwaige Kosteneinsparungen durch verringerten Netzausbau – ein positiver Effekt für alle Verbraucher:innen – kämen hingegen erst auf längere Sicht zum Tragen. Von den verringerten Abregelungskosten profitieren hingegen Netzkund:innen deutschlandweit, da diese über die Übertragungsnetzbetreiber deutschlandweit gewälzt werden. So wäre es plausibel, die regional verringerten Netzentgelteinnahmen über das Konto zu decken, auf dem andernfalls die Abregelungskosten aufgelaufen wären.
Grundsätzlich gilt: Eine Abregelung kann in Ausnahmefällen sinnvoll sein – nämlich dann, wenn die volkswirtschaftlichen Kosten für die Vermeidung von Abregelung höher sind als der Nutzen, der durch die Verwendung des Stroms entsteht. Derzeit werden Windenergieanlagen jedoch weit über diese Ausnahmefälle hinaus abgeregelt, weil das aktuelle Marktdesign die (lokale) Nutzung ihres Stroms sehr stark einschränkt. Die Einführung regionaler zeitvariabler Netzentgelte für Großverbraucher bietet daher einen schnell umsetzbaren Weg, Netzengpässe zu verringern, grünen Strom unmittelbar dort zu nutzen, wo er erzeugt wird, statt die Windkraftanlagen abzuregeln und durch die Nutzung des Windstroms in lokalen Power-to-Heat-Anlagen den Einsatz fossiler Energieträger zum Beispiel bei der Wärmeerzeugung zu verringern.
Alle Beiträge von Mareike Herrndorff, Philipp Godron
Windstrom nutzen statt abregeln
Wie eine kleine Reform der Netzentgelte schnell helfen kann, mehr Windstrom zu nutzen und Stromnetze zu entlasten.