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Christoph Podewils
Leiter Kommunikation (bis März 2021)
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Französischer Kapazitätsmarkt senkt Preisniveau an deutscher Strombörse
Eine Studie für Agora Energiewende beschreibt mögliche Wechselwirkungen durch unterschiedliche Kapazitätsmechanismen auf beiden Seiten des Rheins. Dadurch entstehende Preiseffekte sind auf wenige Stunden im Jahr begrenzt.
Während in Deutschland die Debatte um das Für und Wider eines Kapazitätsmarktes ihrem Höhepunkt entgegenstrebt, hat sich das Nachbarland Frankreich bereits für einen Kapazitätsmarkt entschieden. Von 2016 an müssen sich Stromvertriebe hier mit Versorgungssicherheitszertifikaten eindecken, die unter anderem von Kraftwerksbetreibern ausgestellt werden. Das könnte auch Auswirkungen auf deutsche Stromkunden haben, weil die Stromsysteme in Frankreich und Deutschland miteinander verwoben sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine jetzt von Agora Energiewende vorgestellte Studie.
Demnach hat der Kapazitätsmarkt in Frankreich für Verbraucher in Deutschland tendenziell Vorteile, weil er bei sehr hoher Stromnachfrage in beiden Ländern– etwa an kalten Wintertagen - die Ausschläge der Strompreise nach oben begrenzt. Die mit der Ausstellung von Leistungszertifikaten verbundenen Zahlungen stammen jedoch ausschließlich von französischen Stromverbrauchern, deren Stromrechnung hierdurch steigen wird. Verlierer werden deutsche Kraftwerksbetreiber sein, die in geringerem Ausmaß von Spitzenpreisen profitieren können.
„Deutsche Stromverbraucher haben mit ihren Zahlungen für Strom aus Erneuerbaren Energien die Großhandelspreise über den so genannten Merit-Order-Effekt in Deutschland – und vermittelt über den Stromhandel auch in Frankreich – deutlich gesenkt. Der französische Kapazitätsmarkt führt jetzt dazu, dass die französischen Stromkunden die Spitzenpreise in Knappheitssituationen an der deutsch-französischen Strombörse herunterkaufen. Diese Effekte sind zwar nicht riesig, weil zwischen Deutschland und Frankreich nur Leitungen in einer Größenordnung von drei Gigawatt existieren, zeigen aber einmal mehr, wie wichtig auf lange Sicht eine europäische Energiepolitik aus einem Guss ist“, sagt Dr. Patrick Graichen, Direktor von Agora Energiewende.
Die Studie vergleicht außerdem den französischen Kapazitätsmarkt mit dem von BDEW und VKU vorgeschlagenen dezentralen Leistungsmarkt. Sowohl bei dem in Frankreich eingeführten Kapazitätsmarkt-Modell als auch im Vorschlag für einen dezentralen Leistungsmarkt in Deutschland stellen Kraftwerke und regelbare Stromverbraucher handelbare Kapazitätszertifikate aus, mit denen sich die Stromvertriebe eindecken müssen, um ihre Lieferfähigkeit gegenüber den Stromverbrauchern nachzuweisen. Trotz dieser Ähnlichkeit unterscheiden sich die beiden Modelle jedoch bei genauerem Hinsehen voneinander, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Das gilt insbesondere für Regulierungsfragen: Im französischen Kapazitätsmarkt spielt der Übertragungsnetzbetreiber RTE eine zentrale Rolle, weil er überprüft, ob sich die Stromvertriebe tatsächlich mit genügend Zertifikaten über gesicherte Leistung eindeckt haben. Eine vergleichbare Kontrollinstanz fehlt beim deutschen Modellvorschlag. „Das französische Modell ist weitaus rigider, wenn es darum geht, die Verfügbarkeit von Leistung zu Zeiten mit Knappheit nicht nur anzureizen, sondern auch durchzusetzen. Wollte man den dezentralen Leistungsmarkt in Deutschland umsetzen, müsste man sicherlich ähnlich wie in Frankreich stärkere Überwachung und Kontrollen einführen als bisher diskutiert“, betont Graichen.
Unabhängig von Kapazitätsmechanismen arbeiten Frankreich und Deutschland auch schon bisher über den gemeinsamen Strommarkt bei der Sicherung der Stromversorgung zusammen. So haben Stromlieferungen aus Deutschland beispielsweise im Februar 2012 einen Blackout verhindert, als im damaligen sehr kalten Winter große Mengen Strom zum Heizen nach Frankreich geliefert wurden, während gleichzeitig auch in Deutschland eine sehr hohe Stromnachfrage herrschte.
Gleichwohl waren derartige Knappheitssituationen bislang sehr selten. Sie könnten jedoch der Studie zufolge von 2023 an häufiger auftreten. Demnach könnte es dann innerhalb von zehn Jahren sechsmal zu Situationen kommen, an denen sowohl in Frankreich als auch in Deutschland die Stromnachfrage das Stromangebot überschreitet. „Hier stellt sich die Frage, inwieweit deutsche Kraftwerke, die am französischen Kapazitätsmarkt teilnehmen, dann noch für die deutsche Stromversorgung zur Verfügung stehen können“, sagt Graichen. „Unsere Studie empfiehlt, dass sich beide Länder dazu auf gemeinsame technische und regulatorische Rahmenbedingungen verständigen müssen. Wie diese aussehen können, hat der französische Übertragungsnetzbetreiber RTE im Rahmen eines Konsultationsverfahrens bereits skizziert. “
Die Studie „Potential Interactions between Capacity Mechanisms in France and Germany“ wurde vom Bonner Beratungsunternehmen DNV GL im Auftrag von Agora Energiewende erstellt. Sie ist ausschließlich in englischer Sprache erschienen und steht unten zum Download bereit.
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