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Format
Meldung
Date
3. März 2016

80 Prozent der geplanten Gasinfrastruktur in der EU ist für Versorgungssicherheit unnötig – Milliarden können eingespart werden

Studie des Konsortiums "Energy Union Choices" beziffert das Risiko von Fehlinvestitionen in Europas Gasinfrastruktur auf 11,4 Milliarden Euro

Selbst bei hoher Erdgasnachfrage oder größeren Versorgungsengpässen braucht die Europäische Union nur einen geringen Teil der geplanten neuen Gasinfrastruktur, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten – das zeigt eine heute in Brüssel veröffentlichte Studie der Energieexperten von Artelys und Climact im Auftrag der Initiative „Energy Union Choices“. Dieser gehören unter anderem Agora Energiewende, E3G, der WWF das Regulatory Assistance Project (RAP) und die European Climate Foundation (ECF) an.

Die Studie „Energy Union Choices: A Perspective on Infrastructure and Energy Security in the Transition” stellt gängige Annahmen rund um die Planung neuer Gasinfrastrukturprojekte in Frage. Die Berechnungen zeigen, dass die meisten geplanten Infrastrukturprojekte zwischen europäischen Ländern oder für Gasimporte nicht nötig sind, um die Versorgungssicherheit in der Europäischen Union aufrecht zu erhalten. Ausnahmen sind lediglich einzelne Projekte in Südosteuropa, die die Region bei einer erheblichen russisch-ukrainischen Versorgungsunterbrechung absichern sollen.

Großprojekte wie „Nord Stream 2“, der „südliche Erdgaskorridor“ und mehrere kleinere Vorhaben, die als von „allgemeinem Interesse“ gelten und von denen viele für EU-Fördermittel qualifiziert sind, drohen daher zu Fehlinvestitionen zu werden. Der Studie zufolge könnten sich diese auf 11,4 Milliarden Euro belaufen.

„Europa läuft Gefahr, Geld für unnötige Gasinfrastruktur aus dem Fenster zu werfen. Anstatt noch mehr Gas-Pipelines zu bauen, liegt der Schlüssel zur Energiesicherheit in erneuerbaren Energien und optimierter Energieeffizienz“, sagt Imke Lübekke, Direktorin des WWF European Policy Office.

Schon gegenwärtig werden die Kapazitäten der europäischen Terminals zur Einfuhr von Flüssiggas (LNG-Terminals) im Durchschnitt lediglich zu 32 Prozent genutzt. Ebenso sind die bestehenden Pipelines nicht ausgelastet – hier werden nur 58 Prozent der Kapazität genutzt. Die Ursache für die Unterauslastung liegt in einer insgesamt rückläufigen Gasnachfrage in Europa, sie sank in den vergangenen fünf Jahren um 23 Prozent. Effizientere Gebäude, die zunehmende Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors und  eine besser integrierte Infrastrukturplanung als Folge des EU-Klima- und Energiepakets für 2030 sowie der Entwicklung der Energieunion werden voraussichtlich zu weiteren Nachfragerückgängen führen. Der Großteil der geplanten Infrastrukturprojekte im Gasbereich wird angesichts dessen noch vor Ende seiner technischen Lebensdauer überflüssig werden, warnt die Studie. 

Für Südosteuropa, wo angesichts der Erfahrungen in den vergangenen Jahren Sorgen um eine gesicherte Erdgasversorgung berechtigt sind, empfehlen die Autoren ein integriertes und regionales Herangehen an die Planung von Infrastruktur sowie Verbesserungen im Bereich der Energieeffizienz. Dadurch sei Versorgungssicherheit in der Region wesentlich günstiger herzustellen als mit dem Bau neuer Pipelines oder mit LNG-Terminals. Derartige Maßnahmen könnten die europäischen Gasimporte um nahezu 100 Mrd. Kubikmeter reduzieren. Das entspricht etwa einem Drittel der aktuellen Importmenge.

„Eine kluge Herangehensweise an neue Energieinfrastruktur bedeutet mehr Versorgungssicherheit zu einem geringeren Preis. Schon heute sinkt die Erdgasnachfrage und durch Investitionen in Energieeffizienz können 80 Prozent der Kosten neuer Gasinfrastruktur eingespart werden. Wir müssen die Chance nutzen, ein sicheres und klimafreundliches Energiesystem zu errichten, das Risiken für Fehlinvestitionen vermeidet“, sagt Jonathan Gaventa, Direktor bei E3G.

Im Rahmen der Studie wurde die Gasinfrastruktur einem Stresstest unterzogen, der verschiedene Szenarien beinhaltete. Dazu zählten beispielsweise eine hohe und eine geringere Erdgasnachfrage, unterschiedliche Entwicklungen bei der Energieeffizienz sowie ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung. Auch unter diesen Bedingungen war die Versorgungssicherheit im Wesentlichen bereits mit der heutigen Infrastruktur gewährleistet.

"Das bestehende Gassystem kann einen vorzeitigen Kohle-Ausstieg im Stromsektor ohne signifikante Investitionen in neue Gas-Pipelines oder weitere Gasinfrastruktur bewältigen“, sagt Matthias Deutsch, Projektleiter bei Agora Energiewende. Mike Hogan, Senior Berater bei RAP ergänzt: „Die Analyse zeigt einmal mehr, wie enorm wichtig es ist, der Energieeffizienz einen hohen Stellenwert einzuräumen und die Integration in regionale Märkte zu berücksichtigen. Nur so gelangt saubere, sichere und erschwingliche Energie zu Europas Verbrauchern und Unternehmen. Entscheidungen über Infrastruktur-Projekte sollten daher immer den Energiebedarf im Blick haben.“

Christoph Wolff, geschäftsführender Direktor der European Climate Foundation (ECF): „Der Bericht zeigt, dass eine integrierte Betrachtung von Gas-, Wärme- und Stromsystem erhebliche Sicherheits- und Kostenvorteile liefern kann. Das wird besonders im Rahmen der Dekarbonisierung unseres Energiesystems immer wichtiger. Die ECF und Partnerorganisationen der Initiative Energy Union Choices freuen sich darauf, die entsprechenden Institutionen bei diesem Prozess zu unterstützen.“ 

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